Ausstieg aus dem Crash

Nachhaltigkeit


Wie schneidet die CO2-Wirtschaft ab, wenn man sie an den Kriterien der Nachhaltigkeit mißt?

Nach der Definition der Brundtlandt-Kommission, die bei der Weltumweltkonferenz in Rio 1992 zum weltweiten Konsens avancierte, hat nachhaltige Entwicklung das Ziel, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, daß auch die Bedürfnisse nachfolgender Generationen noch befriedigt werden können. Die Enquête-Kommission des Bundestags "Schutz des Menschen und der Umwelt" hat diese allgemeine Forderung (beruhend auf Arbeiten von Pearce/Turner 1990 und El Serafy's Rule, s. Minsch 1992:65 und 40) in "Management-Regeln" ausformuliert . Danach soll 1. die Abbaurate erneuerbarer Ressourcen ihre Regenerationsrate nicht überschreiten, sollen 2. die nicht-erneuerbaren Ressourcen nur in dem Umfang genutzt werden, in dem ein physisch gleichwertiger Ersatz in Form erneuerbarer Ressourcen oder erhöhter Ressourcenproduktivität geschaffen wird, sollen 3. Stoffeinträge in die Umwelt sich an der Belastbarkeit der Umweltmedien orientieren.

Um diese Ziele zu erreichen, sind eine
1 - Effizienzrevolution und eine
2 - Suffizienzrevolution erforderlich, und müssen die Prinzipien der
3 - Konsistenz und der
4 - Korrespondenz
erfüllt werden.

1. Effizienzrevolution: Die Nutzungs-Effizienz von Energie und Stoffen muß weiter verbessert werden, so daß mit gleichem Ressourceneinsatz mehr materielle Güter und Dienstleistungen erzeugt weden können, oder der jetzige materielle Wohlstand mit geringerem Ressourcenaufwand erzeugt werden kann. Nach Weizsäcker und Lovins (1995) und Friedrich Schmidt-Bleek (1993 und 1997) kann die Ressourcen-Effizienz um das Vier- bis Zehnfache gesteigert werden (s.a. KK510). Die von diesen Autoren zitierten Verbesserungsfaktoren gelten allerdings nur für ausgewählte Bereiche oder Produkte, und es besteht Grund zu der Annahme, daß die Gesamtbilanz der Verbesserungsmöglichkeiten eher bei einer Verdoppelung der Effizienz liegt.

2. Wie in L133 ausgeführt, wird bei weiterem Wirtschaftswachstum die Effizienzverbesserung bei einzelnen Gütern dadurch zunichtegemacht, daß die Menge der umgesetzten Güter weiter steigt (s. rebound). Eine Reduzierung des Umweltverbrauchs ist daher nur zu erreichen, wenn die Menge der verbrauchten Güter zumindest stagniert, während die Ressourcen-Effizienz steigt. Da jedoch in den Industrieländern die Verbrauchniveaus um das Vier- bis Fünffache über dem liegen, was global, also für alle Menschen möglich ist, bedeutet das unausweichlich, das auch die Verbrauchsmengen sinken müssen. Wolfgang Sachs hat dafür den Begriff "Suffizienz" geprägt.

3. Konsistenz ist "die umweltverträgliche Beschaffenheit von Stoff- und Energieströmen, die umweltverträgliche Beschaffenheit von Produktions- und Konsumlinien. ... Konsistente Stoffströme sind ... solche, die entweder weitgehend störsicher im abgeschlossenen technischen Eigenkreislauf geführt werden, oder aber mit den Stoffwechselprozessen der umgebenden Natur so übereinstimmen, daß sie sich, auch in großen Volumina, relativ problemlos darin einfügen (z.B. ökologische Landwirtschaft). Unter Bedingungen der Konsistenz führen anthropogene Umweltwirkungen nicht zwangsläufig zu Umweltdegradation, sondern tragen dauerhaft zu einfacher oder erweiterter Reproduktion der Ökosysteme bei" (Huber Q10:2).

Was Abfall für den einen, ist Rohstoff für den anderen - so ließe sich da Prinzip der Konsistenz mit einem Satz zusammenfassen. Wie in der Natur: Die Blätter, die im Herbst von den Bäumen fallen, sind Nahrung für Fäulnisbakterien, Pilze und Springschwänze. In der Natur hat sich das in Millionen Jahren herausgebildet - in industriellen Prozessen muß man sich darüber Gedanken machen, über den eigenen Tellerrand hinausschauen, und dafür investieren. Und deshalb kommt es nur zustande, wenn es entsprechende Anreize oder Strafen für die Mißachtung dieses Grundsatzes gibt.

Die perfekte Erfüllung der Forderung nach Konsistenz verspricht das Zero-emission-Konzept, das in Japan entwickelt wurde und an dessen Umsetzung bereits 200 japanische Firmen arbeiten. Dieses Konzept zielt auf einen geschlossenen Kreislauf: alles, was bei der Produktion und beim Verbrauch an- und abfällt, wird von anderen Prozessen wieder aufgenommen und weiterverwertet, so daß am Ende nur allgemein verwertbare Stoffe wie Wasser, Kohlenstoff, Sauerstoff oder Humus herauskommen s.a. Kreislaufwirtschaft, vgl. Nahrungskette).

4. Korrespondenz bezeichnet eine soziale Komponente, die in dieser Batterie von technischen Kriterien noch fehlt. Wie kann man dafür sorgen, daß die Industrie nicht die Dinge erfindet und herstellt, an denen sie möglichst viel Geld verdient, sondern die, die die Leute wirklich brauchen?

Die konventionelle Antwort darauf lautet: Das macht der Markt. Bedürfnisse äußern sich als Nachfrage auf dem Markt. Also kennen wir alle Bedürfnisse, wenn wir die Nachfrage kennen, und werden alle Bedürfnisse befriedigt, soweit die Nachfrage durch den Markt befriedigt wird.

Aber das stimmt nicht. Wer hatte wohl Bedürfnis nach Atomstrom geäußert, als die Atomkraftwerke gebaut wurden, wer das Bedürfnis nach 200 Fernsehkanälen mit ihrem endlosen Brei von Talk- und Gameshows? Brauchen junge Menschen wirklich Technoparties mit Ecstasy, oder nehmen sie damit Vorlieb, weil ihnen keine anderen ansprechenden Betätigungsmöglichkeiten geboten werden? Wünschen sich Menschen wirklich mehr als alles andere einen Urlaubsflug nach Tenerifa (und strömen, wie in München im Sommer 1998, mit 200 000 anderen zum ersten Ferienwochenende auf den Flughafen), oder würden sie vielleicht viel lieber zu Hause bleiben, wenn die Wohnung nicht so laut, die Straßen der Stadt nicht mit Autos verstopft, die Luft nicht so schlecht wäre?

Korrespondenz wäre dann erreicht, wenn die Wirtschaft den Menschen das anbietet, was sie wollen - und nicht das, was den größten ROI (Return on Investment) verspricht.

Effizienz und Suffizienz kommen in einer ressourcenbegrenzten Wirtschaft von selbst, das schrumpfende Budget zwingt sie herbei. Wo es um die Suffizienz, die Reduzierung des überschäumenden materiellen Verbrauchs geht, würde ich der realen Begrenztheit der Mittel viel eher trauen als dem vielbemühten "Bewußtseinswandel". Bei begrenzten Mitteln kommt der neue Lebensstil von selbst, braucht nicht durch Seelenmassage herbeigeredet zu werden. Sozial innovative Ansätze im Bereich Arbeit, Gemeinschaftsbildung, gemeinsam nutzen, nutzen statt kaufen usw. - wie z.B. die "Leitbilder" der Studie Zukunftsfähiges Deutschland -, die im jetzigen Klima kaum eine Chance haben, fallen auf fruchtbaren Boden. Auch die Konsistenz dürfte positiv beeinflußt werden, wenn das CO2-Bewertungssystem scharf genug hinschaut. Die Korrespondenz wird sich zweifellos gegenüber dem Geld-Markt-System verbessern, weil die Chancen der Unternehmen, überflüssige Produkte für die Ersatzbefriedigung in den Markt zu drücken, mit dem CO2-Budget von Jahr zu Jahr schrumpfen. In dieser Hinsicht gibt es allerdings einen großen Bedarf an sozialer Innovation, da das schrumpfende Budget allein die Steuerungsfunktion des Geld-Markt-Systems nicht ersetzen kann. Diese Innovationen müßten im Bereich der Bürgerpartizipation in der lokalen und regionalen Ökonomie gesucht werden. Damit eine regionale Ökonomie wachsen und ein befriedigendes Maß an Autarkie erreichen kann, ist es notwendig, Mechanismen und Kanäle zu schaffen, über die die Gemeinschaft den Produzenten ihre Bedürfnisse und ihre Anforderungen an eine sozial und ökologisch verträgliche Produktionsweise kommuniziert. (Allerdings kann man auch davon ausgehen, daß regional produzierende und verkaufende Unternehmen ohnehin sehr viel besser über die Wünsche, Bedürfnisse und sozialen und ökologischen Erwartungen ihrer Kunden informiert sind als weltweit operierende Konzerne). Man könnte sich z.B. vorstellen, um einen Diskussionanstoß zu geben, daß es für alle Branchen regionale Wirtschaftsräte gibt, die wie Schöffengerichte mit "Laien" besetzt sind (also mit den Menschen, für die produziert wird). In diesen Räten werden Jahr für Jahr die Produktionspläne der Unternehmen diskutiert und es werden kritische Stellungnahmen und Empfehlungen verabschiedet, an denen sich die Unternehmen orientieren können.

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